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Huhuuu, ich bin's 

Finn Fragdochmal! 

Ich liebe Ws! Ich zeig euch Hinweise und Fragen, welche die Gedankenreise durch einen psychologischen Fall unterstützen! Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum... 

los geht's!

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Unsere
Fallbeispiele

Wir haben Lehrkräfte gefragt, was sie im Alltag bewegt und welche Themen oder Menschen sie beschäftigen - unabhängig von Fach oder Schulart. Wir haben zahlreiche spannende und emotionale Einsendungen erhalten und ausgewertet. Auf Basis der Ergebnisse haben wir Fallbeispiele konstruiert, welche wir mit Theorie und Empirie genauer beleuchten und haben diese dann wiederum durch praktizierende Lehrkräfte evaluiert. In den Beiträgen treffen sich also fundierte Theorie aus der Wissenschaft und erprobte Praxis aus dem Schulalltag. Es ist ein Kreislauf aus Praxis, Wissenschaft und zurück, der es ermöglicht theoretisch empirisches Wissen aus der Wissenschaft in die Schulen und das Realitätswissen der Praxis wieder an die universitäre Ausbildung zurück zu transferieren - eine Theorie-Praxis-Verzahnung, welche für psychologische Themen bisher schwer möglich ist.

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Ziel unserer Beiträge ist es jedoch keinesfalls den Praktikern ihre Arbeit mit noch mehr Theorie zu erklären und besserwisserisch Handlungsempfehlungen zu geben. Nein, es geht darum Lehrkräften, Pädagog*innen und Psycholog*innen einen Fahrplan an die Hand zu geben, der es ihnen ermöglicht ihre individuellen Themen aus dem Alltag aus neuen Blickwinkeln zu sehen. Wir zeigen Hinweise und Ideen auf wie ein Praktiker in herausfordernden psychologischen Situationen wieder an Stabilität gewinnt: einen Fahrplan zum Beobachten, Informationen sammmeln, Zusammenhänge herstellen, Situation verstehen und dann handeln und Lösungen finden. Wir zeigen also eine fundierte Vorgehensweise auf, mit der Praktiker*innen in psychologischen Situationen lernen mit Selbstsicherheit und Empathie umzugehen und Lösungen zu finden.

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Ein Mädchen spricht nicht mehr im Unterricht.

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Ein Junge regt sich zu schnell auf

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Ein Schüler macht nicht mehr mit

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Wenn die Mitschüler*innen einen nicht mitspielen lassen.

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Lisa spricht nicht mehr

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Eine Lehrerin berichtet von einem Mädchen aus der Sekundarstufe I. Lisa. Das auffällige an Lisa: Lisa spricht nicht mehr. Nicht nur bei ihr, sondern in vielen Fächern schweigt sie gegenüber den Lehrkräften. Alle sind ratlos und frustriert und wissen nicht, wie sie vorgehen sollen oder wie es weitergehen kann. Alltägliche Fragen werden nicht beantwortet, die Mitarbeit und jegliche Kommunikation verweigert. Die Lehrkraft fragt sich, wie sie mit ihr interagieren und ihr helfen kann.


Die nahe liegende Frage ist also: Warum spricht Lisa nicht mehr? Was hat sie zum Schweigen bewogen? Und natürlich auch, was können die Lehrkräfte tun, um zu helfen und wieder eine intakte Kommunikation herzustellen?

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Unser Vorgehen

Im Laufe unserer evolutionären Entwicklungsgeschichte haben sich in unserer Psyche verschiedene Ebenen der Verhaltenssteuerung entwickelt. Wir haben gewissermaßen mehrere „Gehirne“ in uns, die jeweils versuchen, unser Verhalten auf eine bestimmte Weise und nach bestimmten inneren Maßstäben zu beeinflussen.

 

Will man also wirklich verstehen, warum eine Person ein bestimmtes Verhalten zeigt, muss man die verschiedenen „Gehirne“ der Person erkunden und sich jeweils auf die Suche nach möglichen Ursachen begeben. Man setzt sich also gewissermaßen verschiedene psychische Brillen auf, mit denen man jeweils andere mögliche Ursachen des Verhaltens sehen wird.

 

Da all unsere „Gehirne“ immer gleichzeitig aktiv sind, gibt es so etwas wie die einzig wahre Ursache nicht. Vielmehr wird man mit jeder weiteren Brille die innere Welt der Person ein Stück weit besser verstehen und damit die Person zunehmend besser pädagogisch begleiten können.

 

Hilfreich hierfür, für die Erkundung der verschiedenen „Gehirne“, sind die folgenden sechs Leitfragen, welche jeweils eine bestimmte Ebene der Psyche beleuchten:

 

  1. Welche Bedürfnisse könnten dem Verhalten zugrunde liegen?

  2. Welche Emotionen und Motive könnten die Ursache sein?

  3. Welche rationalen Vorstellungen und Ziele könnten hinter dem Verhalten stecken?

  4. Wie sieht das Selbstbild aus und welche Rolle könnte dieses spielen?

  5. Welche sozialen Hintergründe könnten in Bezug auf das Verhalten wichtig sein?

  6. Welche kulturellen Hintergründe könnten das Verhalten beeinflussen?

 

Wir werden im Folgenden beispielhaft den Fall Lisa auf den sechs verschiedenen Ebenen der Verhaltenssteuerung beleuchten und nach möglichen Erklärungen suchen. Das Ziel besteht dabei nicht darin, die im konkreten Fall der echten Lisa tatsächlich vorliegenden Ursachen zu beschreiben. Der Fall Lisa soll im Folgenden dazu dienen, die Funktionsweise unserer verschiedenen „Gehirne“ zu vermitteln. Deswegen werden auf jeder Ebene der Verhaltenssteuerung hypothetische Szenarien geschildert, die der Fall sein könnten, aber bei der echten Lisa nicht gegeben sein müssen.

 

Wenn Du zu den auf einer Ebene wirkenden psychischen Kräfte noch mehr wissen willst, kannst Du Dir in der Rubrik Wissen die entsprechenden Lehrvideos ansehen.

Link zum Lehrvideo: Unsere verschiedenen „Gehirne“ – oder: Die sechs Ebenen der Verhaltenssteuerung

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Wichtig: Die folgenden Ausführungen basieren auf der Annahme, dass es sich bei dem Verhalten im Fallbeispiel nicht um eine klinisch relevante Störung handelt. Genaueres hierzu kannst Du unter Entwicklungsproblem versus Psychische Erkrankung weiter unten erfahren.

Kräfte bei Lisa

"Reden ist Silber und Schweigen ist Gold" - ist Schweigen wertvoll in unserer Gesellschaft? 

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Rationales Gehirn

Steckt hinter dem Verhalten ein Plan? Vielleicht hat Lisa einfach eine Wette verloren und will die Wettschuld begleichen.

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Denkt Lisa sie kann mit Worten etwas ausrichten? Ist sie zufrieden mit sich?

Wenn das Schweigen die Beziehung zum sozialen Umfeld ausdrückt

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Angst, Trauer oder Ärger? Steckt eine emotionale Erfahrung hinter dem Verhalten?

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Das Schweigen kann eine Macht haben - Ist der Mangel eines Grundbedürfnis der Grund für das verhalten?

Lisa Bedürfnisse

Das Bedürfnisgehirn 

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Das älteste in uns vorhandene Verhaltenssteuerungssystem ist unser Bedürfnisgehirn. Ein bestimmtes Verhalten wird dort dann ausgelöst, wenn sich dieses Verhalten in der Vergangenheit als erfolgreich erwiesen hat, um ein bestimmtes Grundbedürfnis zu erfüllen. Ein Grundbedürfnis kann man sich so vorstellen, dass es einen inneren Soll-Wert gibt, zu dem unser Organismus ständig hinstreben möchte.

 

Das Besondere an dieser Verhaltenssteuerung ist, dass uns die Gründe, warum wir uns so verhalten, oft nicht bewusst sind: Unser Organismus löst hier ein Verhalten aus, nicht weil wir uns danach besser fühlen oder damit ein rationales Ziel erreichen wollen, sondern weil damit evolutionär bedingte innere Soll-Werte angestrebt werden. Da diese Art der Verhaltenssteuerung nicht den Maßstäben unserer bewusst wahrgenommenen Gefühle und rationalen Ziele folgt, sind auf dieser Ebene ausgelöste Verhaltensweisen oft besonders schwer zu verstehen.

 

Die Grundbedürfnisse des Menschen gehen von physiologischen Bedürfnissen (Essen, Trinken, Schlafen), über psychische Bedürfnisse (Autonomie, Kontrolle, Soziale Eingebundenheit) bis hin zu Bedürfnissen, die zur Entfaltung des Selbst wichtig sind (Selbstwert, Selbstverwirklichung). In Abhängigkeit von den gemachten Erfahrungen bilden sich im Laufe eines Lebens innere Bedürfnis-Verhaltens-Landkarten aus, welche in Situationen automatisch und schnell das Verhalten aktivieren, mit welchem in der Vergangenheit diese Bedürfnisse erfolgreich erfüllt werden konnten.

 

Im besten Fall sind die Bedürfnisse in einem Gleichgewicht – jedes Bedürfnis wird durch die vorhandene innere Bedürfnis-Verhaltens-Landkarte ausreichend befriedigt. Allerdings kann die Verhaltenssteuerung auch außer Tritt geraten.

 

Wenn ein Grundbedürfnis nicht erfüllt werden kann, kann es zu inneren Schieflage kommen. Es kann sein, dass dann alles Verhalten nur noch nach diesem einen Grundbedürfnis ausgerichtet wird, wodurch alle anderen Bedürfnisse vernachlässig werden. Andererseits kann es sein, dass ein nicht erfüllbares Bedürfnis durch ein anderes Bedürfnis ersetzt wird und damit langfristig vernachlässigt wird. Da die bedürfnisbezogene Steuerung unserer bewussten Wahrnehmung nicht direkt zugänglich ist, wird das aber oft von den betroffenen Personen nicht bemerkt.

 

Ausführlichere Informationen zum Thema der bedürfnisbezogenen Steuerung des Erlebens und Verhaltens findest Du im Bereich Wissen.

 

Es folgen nun zwei mögliche Erklärungen für den Fall Lisa, die auf der Ebene des Bedürfnisgehirns angesiedelt sind:

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1. Ein übermäßiges Kontrollbedürfnis
 

Ein zentrales Grundbedürfnis ist, sich als jemand zu erleben, der die Umwelt unter Kontrolle hat und diese in Richtung der eigenen Bedürfnisse, Emotionen und Ziele beeinflussen kann. Gerade bei Kindern, welche schlimme Erfahrungen durchmachen oder durchgemacht haben, findet sich oft ein übermäßig ausgeprägtes Bedürfnis nach dem Erleben von Kontrolle. Denn solange man sich als jemand erlebt, der die Umwelt kontrolliert, werden die schlimmen Dinge nicht mehr passieren. 

 

Im Fall von Lisa kann das eine mögliche Erklärung ihres Verhaltens sein. Das Erleben von Kontrolle ist deswegen für Lisa so wichtig, weil Lisas Eltern sich aktuell in einer akuten Trennungsphase nach langjähriger Beziehung befinden, was für Lisa eine extreme Verletzung ihres Bedürfnisses nach Sicherheit bedeutet. Lisa leidet schon seit längerem unter der angespannten und konfliktgeladenen Situation bei ihr Zuhause. Immer wieder ist auch Lisas Erziehung Gegenstand der Ehestreitigkeiten. Nach einem erneuten eskalierten Konflikt haben Lisas Eltern ihr nun mitgeteilt, dass sie sich trennen. Da weder Vater noch Mutter bisher eine bezahlbare neue Wohnung gefunden haben, leben sie aber zunächst weiter unter einem Dach. Lisa weiß aber bereits, dass demnächst ein Umzug anstehen wird.

 

Lisas bisherige Welt ist durch die aktuellen Ereignisse in ihren Grundfesten erschüttert: Wie wird es mit ihrem Kinderzimmer weitergehen? Wird sie Mama und Papa in Zukunft noch sehen? Was wird sich noch alles verändern? Wollen beide Eltern nach der Trennung überhaupt noch etwas von ihr wissen? 

 

Das Schweigen von Lisa kann ein Versuch ihrer Psyche sein, das Erleben dieser großen Unsicherheiten durch das Herbeiführen von Situationen zu kompensieren, in welchen ihr Grundbedürfnis nach dem Erleben von Kontrolle erfüllt wird. Durch das Schweigen erlebt Lisa Kontrolle. Zum einen behält sie so die Kontrolle über das eigene Handeln, denn sie macht nicht das, was jemand anderes von ihr fordert. Zum anderen erlebt sie Kontrolle über das Handeln der anderen, denn immer wenn sie schweigt, richtet sich die Aufmerksamkeit der Lehrkräfte zunehmend auf sie. Und selbst wenn Schimpfen oder gar die Androhung von Zwang eintreten sollten, macht das Gegenüber genau das, was Lisa erwartet hat.

 

Dass dadurch andere Bedürfnisse wie das Erzielen von Leistungen vernachlässigt werden, wird von ihr als unwichtig erlebt, da die eintretenden Verhaltenskonsequenzen nur aus der Perspektive ihres übermäßig aktivierten Kontrollbedürfnisses beurteilt werden, welches alle anderen Bedürfnisse in den Hintergrund drängt.

 

Was kann man in diesem Fall tun?


Lisa vor diesem Hintergrund zu Gesprächen und Unterrichtsbeiträgen zu zwingen, würde bedeuten, ihr Bedürfnis nach Kontrollerleben noch mehr zu verletzen. Das würde Lisas Psyche in dieser für sie schwierigen Situation nur noch weiter destabilisieren. Wichtig ist stattdessen, Lisa in möglichst vielen Situationen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.

 

Dies kann auch funktionieren, ohne dass man dazu miteinander sprechen muss. Wenn Lisa erleben kann, dass es trotz der akuten Instabilität in ihrem Elternhaus noch Erwachsene gibt, auf die sie sich verlassen kann und die es gut mit ihr meinen, ist dies für Lisa eine wichtige Erfahrung. Man kann sich als Lehrkraft hier ruhig auf das individuelle Erfahrungswissen und die eigene Kreativität verlassen, wenn es um die Frage geht, wie man einer bestimmten Schülerin Sicherheit vermitteln und ein Kontrollerleben ohne Zwang ermöglichen kann.

 

2. Ein verletztes Selbstwertbedürfnis

 

Ein weiteres zentrales Grundbedürfnis ist, sich als eine anerkannte und wertgeschätzte Person zu erleben. Macht ein Kind die Erfahrung, dass man aufgrund des gezeigten Verhaltens von anderen abgewertet wird, stellt das eine Verletzung dieses Bedürfnisses nach Selbstwert dar.

 

Ein Verhalten, mit dem diese Bedürfnisverletzung vermieden werden kann, ist, kein Verhalten mehr zu zeigen. Auch ein Sich-Nicht-Verhalten kann also ein Verhalten sein, mit welchem ein Bedürfnis erfüllt werden kann – in diesem Fall das Bedürfnis, eine Verletzung des Selbstwertes zu vermeiden.

 

Macht ein Kind nun in einer Situation wiederholt die Erfahrung, dass durch das Zeigen von keinem Verhalten ein Bedürfnis befriedigt wird, stellt sich ein Verhaltensmechanismus ein: Immer, wenn das Kind in eine vergleichbare Situation gerät, zieht es sich in sich zurück und zeigt kein Verhalten mehr. Das Kind erlebt dabei innerlich keine Angst, weil durch den etablierten Verhaltensmechanismus eine sichere Methode vorhanden ist, das Bedürfnis nach einer Vermeidung einer Selbstwertverletzung zu befriedigen.

 

Im Fall von Lisa könnte das eine mögliche Erklärung ihres Verhaltens sein. Lisa hat in der Grundschulzeit zahlreiche negative Erfahrungen in ihrer Klasse machen müssen. Ihre Wortmeldungen wurden von der Klassenlehrerin vor der Klasse immer wieder sehr abwertend beurteilt, was dazu geführt hat, dass sich einige Klassenkammeraden oft über sie lustig gemacht haben, Das hat ihr Bedürfnis, sich als Person wertvoll zu fühlen, immer wieder tief verletzt.

 

Um diese Verletzung ihres Selbstwertbedürfnisses nicht erleben zu müssen, hat sich in ihrer Psyche ein Verhaltensmechanismus ausgebildet: sie spricht in der Klasse nicht mehr. Durch diesen Verhaltensmechanismus hat sie sich eine Art „Schutzmantel“ zugelegt, welcher sie vor weiteren Abwertungen und Verletzungen ihres Bedürfnisses nach Selbstwert schützen soll.

 

Obwohl sie in ihrer neuen Klasse nach dem Wechsel auf die weiterführende Schule bisher keinerlei demütigende Erfahrungen gemacht hat und weder die Lehrkraft noch ihre Mitschüler von ihren damaligen demütigenden Erfahrungen wissen, ist dieser Verhaltensmechanismus in ihrer Psyche nach wie vor etabliert. Die damaligen Erfahrungen waren so schlimm, dass sie das Risiko, noch einmal so verletzt zu werden, auf keinen Fall eingehen will.

 

Dass dadurch andere Bedürfnisse wie das Erzielen guter mündlicher Leistungen verletzt werden, nimmt sie dafür in Kauf. Der Verhaltensmaßstab des Vermeidens einer möglichen Verletzung ihres Selbstwertes steht in ihrem Bedürfnissystem so stark im Vordergrund, dass die Verhaltensmaßstäbe anderer Bedürfnisse ihre Relevanz verloren haben.

 

Was kann man in diesem Fall tun?

 

Vor dem geschilderten Hintergrund immer wieder zu versuchen, Lisa zu aktiven Unterrichtsbeiträgen zu bewegen, stellt für die momentane Organisation ihres Bedürfnissystems eine Bedrohung dar. Man würde dadurch nur erreichen, dass ihr Nicht-Verhalten zusätzlich noch von der Emotion Angst begleitet wird, weil sie fürchtet, dass ihr etablierter Verhaltensmechanismus nicht ausreichen könnte, um eine drohende Selbstwertverletzung zu vermeiden. Man würde einer negativen Dynamik also nur noch eine weitere negative Dynamik hinzufügen.

 

Stattdessen kann man versuchen herauszufinden, welche konkreten Elemente der Situation in der Klasse das Nicht-Verhalten bei Lisa auslösen, und versuchen Situationen zu schaffen, welche diese Elemente nicht enthalten. Es könnte zum Beispiel sein, dass die Anwesenheit bestimmter Schüler ausschlaggebend für das Anspringen ihres Verhaltensmechanismus ist. Eine Möglichkeit wäre dann das Schaffen von Kleingruppen, die so aufgeteilt sind, dass Lisa in einer Gruppe ist, in welcher diese Schüler nicht dabei sind. Wichtig ist dann, dass man zusätzlich sicherstellt, dass Lisa in dieser neuen Situation die Erfahrung macht, dass ihre Wortbeiträge von den anderen nicht abgewertet, sondern wertgeschätzt werden.

Wer hat welches Problem mit wem?

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Inwieweit ist das Schweigen für Lisa oder ihr Umfeld ein Problem?

 

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Wer möchte das Problem lösen? Lisa selbst oder ihr Umfeld?

 

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Wie war Lisa vorher? Lebhaft oder eher verschlossen?

 

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Wie aktiv ist sie sonst im Unterricht?

 

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Wann genau ist das Schweigen entstanden? Plötzlich oder schleichend?

 

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Was war der Auslöser?

 

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Was weißt du über die aktuelle Situation?

 

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Was weißt du über die Vergangenheit?

Das emotionale Gehirn

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Die Verhaltenssteuerung auf der Ebene des emotionalen Gehirns funktioniert so, dass unser Organismus je nach momentan erlebter Emotion auf allen Ebenen der Verhaltenssteuerung anders funktioniert. In Abhängigkeit von der erlebten Emotion denkt man anders, nimmt die Welt anders wahr, ist anders motiviert und anders körperlich aktiviert. Will man eine Person wirklich verstehen, muss man sich also bewusst machen, dass in einem bestimmten emotionalen Zustand immer nur der Anteil der eigenen Person gesehen wird, der durch die Emotion momentan in den Vordergrund gehoben wird.

 

Der Grund, warum in einer bestimmten Situation eine bestimmte Emotion ausgelöst wird, liegt in unserer Lebensgeschichte: Wenn in einer bestimmten Situation eine Emotion ausgelöst wird, wird diese mit den in der Situation vorhandenen Reizen verknüpft. Trifft man erneut auf die betroffenen Reize, geht unser Organismus wieder in den entsprechenden emotionalen Zustand. Da auch in der Situation vorhandene nebensächliche Reize mit Emotionen verknüpft werden, ist es manchmal nicht leicht zu verstehen, woher unsere emotionalen Reaktionen kommen.

 

Im Laufe eines Lebens bildet sich dadurch eine innere emotionale Landkarte aus, mit welcher unser Organismus ständig die Umgebung durchforstet. Wird ein Reiz entdeckt, der in der Vergangenheit mit einer Emotion verknüpft wurde, wird schnell und automatisch diese Emotion ausgelöst.

 

Im besten Fall sind die ausgelösten Emotionen für das Fortkommen der Person hilfreich. Im schlechten Fall werden Emotionen ausgelöst, welche dysfunktional sind und das Fortkommen beeinträchtigen. In diesem Fall ist es wichtig, über Strategien zu verfügen, dysfunktionale Emotionen zu regulieren. Fehlen geeignete Regulationsstrategien, besteht die Gefahr, von der Emotion überwältigt zu werden und ein Verhalten an den Tag zu legen, welches man im Nachhinein bereut.

 

Ausführlichere Informationen zum Thema der emotionalen Steuerung des Erlebens und Verhaltens findest Du im Bereich Wissen.

 

Es folgen nun zwei mögliche Erklärungen für den Fall Lisa, die auf der Ebene des emotionalen Gehirns angesiedelt sind:

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1. Die Emotion Trauer: 

 

Eine starke Emotion ist die Trauer. Trauer wird in Reaktion auf einen nicht mehr rückgängig machbaren Verlust einer Sache erlebt, welche in Bezug auf unsere inneren Wertmaßstäbe eine hohe Wichtigkeit hatte. Dabei kann es sich um den Verlust eines geliebten Menschen handeln, aber auch um den Verlust eines persönlich wichtigen Gegenstandes oder um den Abschied von einer als schön erlebten Lebensphase.

 

Im Falle, dass ein Verlust die Kernelemente unserer bisherigen inneren psychischen Organisation betrifft, besteht eine der Funktionen der Trauer darin, unsere innere Funktionsweise zunächst so einzustellen, dass unsere Psyche nicht zusammenbricht. Bei sehr einschneidenden Verlusten kann deswegen das Erleben von Trauer als Schutzfunktion damit einhergehen, dass das schlimme Lebensereignis aus dem Bewusstsein verdrängt wird.

 

Im Fall von Lisa könnte das eine mögliche Erklärung ihres Verhaltens sein. Lisa trauert um ihre verstorbene Großmutter, zu der sie eine sehr innige Beziehung hatte. Lisas Eltern sind selbst mit dem Sterbeprozess überfordert und wissen nicht, wie sie über dieses Thema mit Lisa sprechen sollen. Sie wollen Lisa nicht belasten mit dem schwierigen Thema und Lisa spürt deutlich, dass dieses Thema ein Tabu ist.

 

Ohne eine elterliche Unterstützung, sieht Lisas Psyche keinen anderen Weg als zu versuchen, das schlimme Ereignis des Versterbens ihrer Großmutter nicht wahrhaben zu müssen und zu verdrängen. Bei Lisa äußert sich diese Verdrängung in einer Weigerung zu sprechen. Es liegt dabei die innere und unbewusste Überzeugung vor: „Solange ich nicht spreche, wird der Tod nicht Realität“.

 

Solche „Glaubenssätze“ muten einem als Erwachsenem vielleicht unverständlich an, können in der Welt eines Kindes aber durchaus eine Rolle spielen. In Lisas familiären Umfeld fehlt außerdem der Raum, über das schlimme Ereignis zu sprechen und gemeinsam zu trauern. Dies verstärkt Lisas Sprachlosigkeit und Verdrängung. Lisas Eltern sind stark mit ihrer eigenen Trauer beschäftigt und sind vor allem froh, dass Lisa keine Probleme zu haben scheint.

 

Was kann man in diesem Fall tun?

 

Lisa vor dem beschriebenen Hintergrund zum Sprechen zu zwingen, hätte für ihre Trauerbewältigung negative Auswirkungen. Wichtig ist im Gegenteil, dass Lisa in dieser schwierigen Phase Stärkung und Unterstützung erfährt. Dafür muss nicht unbedingt das Thema Trauer direkt im Unterricht oder einem Gespräch aufgegriffen werden. Das allgemeine Ziel sollte sein, dass es Lisa ermöglicht wird zu trauern und einen Raum für ihre Trauer zu haben.

 

Zusätzlich kann man versuchen, Lisa emotional positive Erlebnisse im Rahmen der Schule zu ermöglichen. Dadurch, dass Sie erlebt, dass es eine Welt jenseits ihrer Trauer gibt, kann das eine positive Bewältigung des Trauerprozesses unterstützen.

 

Da Lisas Familie im Umgang mit der Trauer offensichtlich überfordert ist, kommt einem als Lehrkraft eine wichtige Rolle als Vertrauensperson zu. Wenn es gelingt, Lisa zu vermitteln, dass immer eine Tür [NB2] bei schwierigen Themen für sie offensteht, steckt darin eine große Chance, dass sich Lisa öffnet. Wenn nötig, kann man auf der Basis dieses Vertrauens auch eine Brücke zu einer Ansprechperson aus dem Bereich der Schulpsychologie oder Kinder-/Jugendberatung sein.

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2. Die Emotion Scham

 

Eine weitere starke Emotion ist die Scham. Scham wird in Reaktion auf Situationen erlebt, in welchen man meint, bestimmten Normen, Werten und Ansprüchen aufgrund der eigenen Unzulänglichkeit und Unfähigkeit nicht gerecht zu werden. Die Funktion der Emotion Scham besteht darin, die psychische Funktionsweise so einzustellen, dass Situationen möglichst vermieden werden, in welchen das empfundene eigene Versagen offenbar werden könnte.

 

Gerade im Jugendalter, wo die eigene Person zunehmend realistisch wahrgenommen wird und gleichzeitig die im sozialen Umfeld vorhandenen Werte für die Bewertung der eigenen Person immer wichtiger werden, kann die Emotion Scham in sozialen Situationen eine wichtige Rolle spielen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Erleben von Scham nicht leicht öffentlich eingestanden werden kann, weil dadurch das empfundene Versagen noch stärker offenbar werden würde.

 

Im Fall von Lisa könnte das eine mögliche Erklärung ihres Verhaltens sein. Lisa schämt sich für den Klang ihrer eigenen Stimme, da sie mit starkem Dialekt spricht. In der Grundschule war das bisher kein Problem, weil viele Kinder denselben Dialekt gesprochen haben. Doch in ihrer Klasse auf der weiterführenden Schule gibt es nun nur wenige andere Kinder, die ebenfalls Dialekt sprechen.

 

Als Lisa bemerkt hat, dass sie von einigen Kindern in ihrer neuen Klasse aufgrund ihrer dialektbedingten Sprachfärbung ausgelacht wird, hat sie begonnen, sich für ihren Dialekt zu schämen. Zunächst hat sie noch versucht, ihre dialektbedingte Sprachfärbung abzulegen, was ihr aber leider nicht gelungen ist.

 

Inzwischen ist es sogar schon so weit, dass allein der Gedanke daran, vor der Klasse sprechen zu müssen, die Emotion Scham in ihr aufwallen lässt.

 

Dies führt dazu, dass sie ihr Kopf rot wird, sie zu schwitzen beginnt, ihre Lippen sich verkrampfen und sie am liebsten sofort aus der Situation fliehen möchte. Lisa hat auch schon mehrmals die Erfahrung gemacht, dass sie in solchen Fällen sogar noch stärker in ihren Dialekt zurückfällt und sich noch mehr verhaspelt. Inzwischen ist ihr Schamgefühl in solchen Situationen so stark, dass sie das Gefühl hat, den Mund gar nicht mehr öffnen zu können und kein einziges Wort mehr sprechen zu können.

 

Was kann man in diesem Fall tun?

 

Zwingt man Lisa trotz ihrer heftigen Scham dazu, sich vor der Klasse oder auch nur in einem Einzelgespräch mündlich zu äußern, wird dies für Lisa eine sehr unangenehme und schamerfüllte Situation sein. Ein solches Erleben kann Lisas Scham schlimmstenfalls noch weiter verstärken.

 

Stattdessen ist es wichtig, sich zunächst ein genaueres Bild der Hintergründe ihrer Schamreaktion zu machen. Hier gilt es herauszufinden, ob Lisa innerlich dieselben Wertmaßstäbe hat wie ihr soziales Umfeld, und ob die diesbezüglichen von ihr wahrgenommenen eigenen Unzulänglichkeiten bei ihr objektiv vorhanden sind oder von ihr nur subjektiv so wahrgenommen werden.

 

Je nach Sachlage gibt es dann verschiedene Möglichkeiten. Auf der Ebene der Wertmaßstäbe kann man beispielsweise versuchen, Lisas innere Wertmaßstäbe stärker im sozialen Umfeld der Klasse zu verankern. Im Falle von nur subjektiv wahrgenommenen Unzulänglichkeiten kann man versuchen, ihre Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung zu verbessern, indem man ihr glaubhafte positive Rückmeldungen gibt. Wichtig ist bei solchen Maßnahmen, mit eher impliziten Strategien zu arbeiten, ohne explizit Bezug auf Lisas Schamreaktion zu nehmen.

 

Sollte sich Lisa in einem Gespräch vertraulich öffnen, kann man versuchen, ihr einfache Techniken zur Emotionsregulation wie zum Beispiel das Arbeiten mit der Körperhaltung zu vermitteln, welche ihr helfen können, eine einmal ausgelöste Scham schnell wieder in den Griff zu bekommen.

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Wie steht Lisa zur Schule?

 

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Geht sie gerne in die Schule oder ist sie nur da, weil sie muss?

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Wen schweigt Lisa an? Nur Lehrkräfte oder auch Freunde und Familie?

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Welche Emotion löst Lisas Verhalten bei dir aus?

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Was ist aktuell in Lisas Gefühlslandschaft los?

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Welche emotionalen Situationen hat Lisa zuletzt erlebt?

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Welche Ausdrucks-möglichkeiten kennt Lisa für ihre Gefühle?

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Welche Ausdrucks-möglichkeiten kennt Lisa für ihre Gefühle?

Das Rationale Gehirn

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Die Verhaltenssteuerung auf der Ebene des rationalen Gehirns basiert auf unserer Fähigkeit, sich Angelegenheiten mit Hilfe unserer Sprache innerlich zu veranschaulichen und sich darauf aufbauend rationale Ziele zu setzen, was man erreichen möchte.

 

In einem ersten Schritt macht man sich dabei mittels der in uns vorhandenen begrifflichen Vorstellung von der Welt ein Bild von der Situation und den sich daraus ergebenden möglichen Konsequenzen. In einem zweiten Schritt können wir dann abwägen, welche der Konsequenzen uns angesichts unserer rationalen Ziele und Wertmaßstäbe als wünschenswert bzw. nicht wünschenswert erscheinen. In einem dritten Schritt können wir schließlich einen Handlungsplan aufstellen, wie wir es schaffen könnten, die wünschenswerten Konsequenzen herzustellen bzw. die nicht wünschenswerten Konsequenzen zu vermeiden.

 

Da unser rationales Gehirn die Welt durch die Brille der in uns vorhandenen begrifflichen Vorstellungen von der Welt betrachtet, handelt es sich bei unseren rationalen Vorstellungen, Zielen und Wertmaßstäben nicht um objektive Tatsachen, sondern um subjektive Vorstellungen. Je nachdem, welche begrifflichen Vorstellungen eine Person im Laufe ihres Lebens erworben hat, wird dieselbe Situation unterschiedlich rational wahrgenommen und bewertet.

 

Im besten Fall spiegelt das rationale Bild die Situation so wider, dass es für das Fortkommen der Person hilfreich ist. Allerdings kann es auch sein, dass das rationale Bild einer Person bestimmte Facetten der Situation fehlerhaft oder gar nicht abbildet, oder dass Ziele verfolgt werden, welche für das Fortkommen hinderlich sind. Problematisch ist das insbesondere dann, wenn der subjektive Charakter unserer rationalen Vorstellungen nicht erkannt wird, sondern diese für die einzig mögliche „Wahrheit“ gehalten werden.

 

Da die rationalen Ziele einer Person nicht notwendigerweise mit den Verhaltenszielen des emotionalen Gehirns und des Bedürfnisgehirns übereinstimmen müssen, ist es für die Verhaltenssteuerung durch Ziele wichtig, dass Strategien vorhanden sind, mittels derer widersprüchliche emotionale oder bedürfnisbezogene Verhaltensziele im Moment kontrolliert und langfristig in Einklang gebracht werden können.

 

Ausführlichere Informationen zum Thema der rationalen Beeinflussung des Erlebens und Verhaltens findest Du im Bereich Wissen.

 

Es folgt nun eine mögliche Erklärung für den Fall Lisa, die auf der Ebene des rationalen Gehirns angesiedelt ist:

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1. Ein instrumentelles Ziel 

 

Bei den Zielen einer Person ist es wichtig, zwischen zwei Arten von Zielen zu unterscheiden: Zwischen den inhaltlichen Zielen, welche den Endzustand definieren, den man mit seinem Handeln zu erreichen versucht, und den instrumentellen Zielen, welche den Weg betreffen, den man gehen muss, um den gewünschten Endzustand zu erreichen.

 

Ausschlaggebend für die grundlegende Richtung des Verhaltens sind unsere inhaltlichen Ziele, weil diese den als wünschenswert beurteilten Endzustand festlegen. Die instrumentellen Ziele werden nur so lange verfolgt, wie das damit angestrebte inhaltliche Ziel verfolgt wird. Sobald das inhaltliche Ziel wegfällt, prägen auch die damit verbundenen instrumentellen Ziele unser Verhalten nicht mehr.

 

Im Fall von Lisa könnte das eine mögliche Erklärung ihres Verhaltens sein. Lisa hat mit ihren Freundinnen gewettet, ob es ihr gelingt, eine Woche lang im Unterricht zu schweigen. Schon die kleinste mündliche Äußerung hat zur Folge, dass sie die Wette verliert. Diese Wette gilt für Lisa als Mutprobe, um in den begehrtesten Freudinnenkreis der Klasse aufgenommen zu werden. Lisas Verhalten resultiert also aus einem instrumentellen Ziel, das sie sich gesetzt hat, um das eigentlich dahinterstehende inhaltliche Ziel zu erreichen, zu einer bestimmten sozialen Gruppe dazuzugehören.

 

Da die Aufnahme in den begehrtesten Freudinnenkreis der Klasse für Lisa ein sehr wichtiges Ziel ist, steht für sie viel auf dem Spiel, weshalb sie sich einen genauen Plan zurechtgelegt hat: Wird sie aufgerufen, vermeidet sie Augenkontakt und sieht ganz ruhig zu Boden und zuckt nur mit den Schultern. Ohne Augenkontakt fällt ihr das Schweigen leichter. Außerdem meidet sie Situationen, die ein Einzelgespräch mit einer Lehrkraft zur Folge haben könnten. Auch das hilft ihr beim Erreichen ihres Ziels. Wird sie dennoch direkt angesprochen, hat sie sich überlegt, einfach gar nicht zuzuhören, indem sie innerlich andauernd „blablablabla“ ausspricht.

 

Um damit zurechtzukommen, dass sie mit ihrem Schweigen ihr Ziel, gute Noten zu bekommen, vernachlässigt, hat sie sich eingeredet, dass es sich ja nur um eine Woche handelt, so dass die vielleicht drohenden schlechten Noten nicht so ins Gewicht fallen werden. Dass sie sich in den Schweigesituationen innerlich komisch fühlt und das eigentlich doof findet, versucht sie damit zu überdecken, dass sie sich ausmalt, wie toll es sich anfühlen wird, wenn sie in den begehrtesten Freudinnenkreis der Klasse aufgenommen wird.

 

Was kann man in diesem Fall tun?

 

Wenn eine solche von der Zeit her begrenzte Verhaltensdynamik aktuell ihren Lauf nimmt, ist es relativ schwer, von außen etwas daran zu ändern. Binnen der kurzen Zeit von einer Woche ist es nahezu unmöglich, Lisas innere Verhaltensteuerung oder die auf der Ebene der Gruppe etablierten Wertmaßstäbe zu ändern.

 

Stattdessen macht es Sinn, die während dieser Woche fehlenden Beiträge von Lisa aus der Bewertung ihrer Leistung herauszunehmen, da ihr Nichtantworten ihr wahres Leistungspotential nicht widerspiegelt. Gleichzeitig kann man das Verhalten von Lisa vor dem Hintergrund betrachten, dass sich darin bei ihr vorhandene Stärken zeigen: Lisa beweist mit ihren zurechtgelegten Strategien zur Zielerreichung eine hervorragende Planungsfähigkeit, eine große Ausdauer und einen starken Willen. Das sind Ressourcen, die Lisa in ihrem Leben vermutlich noch an vielen Stellen weiterhelfen werden.

 

Wenn man solche Verhaltensdynamiken verhindern möchte, muss man präventiv denken. Hier ist es zum einen wichtig, die einzelnen Schüler und Schülerinnen vor dem Hintergrund der in der Klasse vorhandenen sozialen Gruppen zu betrachten. Stellt man fest, dass Schüler noch nicht in die in der Klasse vorhandenen Gruppen integriert sind, kann man versuchen, mittels Maßnahmen zur Förderung der Gruppenbildung eine bessere Integration der betroffenen Schüler zu erreichen. Durch eine aktive Steuerung der für die Gruppenbildung relevanten Kriterien

kann präventiv der Dynamik entgegengewirkt werden, dass die Gruppenzugehörigkeit an problematischen Kriterien festgemacht wird.

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Was ist aktuell in Lisas Leben los?

 

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Was weißt du über Lisas Ziele im Leben? Sowohl aktuell als auch langfristig?

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Woher kommen Lisas Ziele?

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Welche Werte spielen in Lisas Leben eine Rolle?

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Wie könnte ein Ziel für Lisa so wichtig geworden sein, dass so viel Energie in die Zielerreichung steckt?

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Welche Strategien kennst du deine Ziele zu erreichen?

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Welche Strategien kennt Lisa, um ihre Ziele zu erreichen?

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Wer kann Lisa helfen ihre Ziele zu erreichen?

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Wie kann man sich von unerreichbaren Zielen verabschieden?

Das Selbst-Gehirn

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Die Verhaltenssteuerung auf der Ebene des Selbst beruht darauf, dass wir uns mit Hilfe unseres rationalen Gehirns auch ein Bild von uns selbst machen können. Dabei lassen sich drei inhaltliche Bereiche abgrenzen: Man kann sich die Frage stellen, welche Bedürfnisse, Emotionen, Ziele und Wertmaßstäbe bei einem selbst im Vordergrund stehen (Selbstbild), ob man die Welt wie gewünscht beeinflussen kann (Selbstwirksamkeit) und ob man mit dem Bild von sich selbst und der empfundenen Selbstwirksamkeit zufrieden ist (Selbstwert).

 

Das Selbstbild enthält Vorstellungen darüber, wie man meint momentan zu sein, wie man meint, sich in Zukunft entwickeln zu können, und wie man eigentlich gerne sein würde. Wie bei unseren rationalen Vorstellungen über die Welt, handelt es sich auch bei unseren rationalen Vorstellungen und Bewertungen über uns selbst nicht um objektive Tatsachen, sondern um subjektive Vorstellungen.

 

Im besten Fall spiegelt das Selbstbild die in einem vorhandenen bedürfnisbezogenen Verhaltensgewohnheiten, emotionalen Reaktionsgewohnheiten und rationalen Ziele möglichst realistisch, umfassend und miteinander integriert wider.

 

Allerdings ist uns, wie bei unserem Wissen über die Welt, auch bei unserem Wissen über uns selbst im gegenwärtigen Moment immer nur ein kleiner Teilausschnitt davon bewusst. Dieser Tatsache ist man sich oft nicht bewusst, sondern man hat den Eindruck, man wäre nichts anderes als der momentan im Vordergrund stehende Teilausschnitt des Selbst, was die Gefahr mit sich bringt, weitere Facetten der eigenen Person zu vernachlässigen.

 

Hinsichtlich der Vorstellungen, wie man gerne sein würde, sind zwei unterschiedliche Maßstäbe zu unterscheiden. Man kann sich aus der Perspektive der eigenen inneren Maßstäbe betrachten (intrinsisch) oder aus der Perspektive der Maßstäbe anderer Personen (extrinsisch). Eine rein intrinsische Selbstteuerung kann hinsichtlich der Integration in eine soziale Gruppe problematisch sein, eine rein extrinsische Selbststeuerung bringt die Gefahr einer Vernachlässigung der eigentlichen inneren Bedürfnisse und Emotionen mit sich.

 

Hinsichtlich der empfundenen Selbstwirksamkeit ist sowohl eine Unterschätzung als auch eine zu starke Überschätzung der Beeinflussbarkeit der Welt dysfunktional. Eine leichte Überschätzung kann aber ein Entwicklungsmotor sein. Bei der Abschätzung der Selbstwirksamkeit spielt eine wichtige Rolle, ob man die Ursachen von Erfolgen bzw. Misserfolgen sich selbst oder äußeren Einflussfaktoren zuschreibt und die Ursachen als änderbar oder nicht änderbar wahrnimmt. Dysfunktional ist, wenn ein Misserfolg äußeren Ursachen zugeschrieben wird, die als nicht änderbar eingeschätzt werden.

 

Ausführlichere Informationen zum Thema der selbstbezogenen Steuerung des Erlebens und Verhaltens findest Du im Bereich Wissen.

 

Es folgen nun zwei mögliche Erklärungen für den Fall Lisa, die auf der Ebene des Selbst angesiedelt sind:

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1. Ein geringes Fähigkeitsselbstkonzept:

 

Ein wichtiger Einflussfaktor auf die schulische Leistung auf der Ebene des Selbst ist das sogenannte Fähigkeitsselbstkonzept, welches die subjektiven Überzeugungen hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten beschreibt. Das Fähigkeitsselbstkonzept enthält dabei sowohl Überzeugungen hinsichtlich der momentan vorhandenen Fähigkeiten als auch Überzeugungen hinsichtlich des Potentials der weiteren Entwicklung.

 

Das Fähigkeitsselbstkonzept speist sich aus den eigenen leistungsbezogenen Erfahrungen in der Vergangenheit, den Einschätzungen, die wir von als relevant erachteten Personen erhalten, sowie den Beobachtungen, die wir bei Personen machen, welche als einem ähnlich empfundenen werden.

 

Im Fall von Lisa könnte hier eine mögliche Erklärung ihres Verhaltens angesiedelt sein. Vor ihrem Wechsel auf die weiterführende Schule hatte Lisa in ihrer Grundschulklasse immer zu den Besten gehört und sich rege am Unterricht beteiligt. Nach ihrem Wechsel aufs Gymnasium ist sie nun in einer Klasse, wo viele ihrer Mitschüler deutlich besser als sie sind.

 

Diese Erfahrung hat ihre bisherigen Überzeugzungen zu ihren Fähigkeiten zutiefst erschüttert. Sie hat den subjektiven Eindruck, plötzlich gar nichts mehr zu können und zu den schlechtesten Schülern zu gehören. Gefördert wird ihr negativer Eindruck dadurch, dass ihre neue Lehrkraft die Noten dadurch festlegt, dass sie die Leistungen der Schülerinnen und Schüler miteinander vergleicht. Dass Lisa Lernfortschritte macht, nimmt sie gar nicht war, weil sie nur noch die Leistungen der anderen Schüler vor Augen hat, die ihr deutlich voraus sind.

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Das alles hat sie tief verunsichert. Obwohl sie sich früher gern und oft am Unterricht beteiligt hat, möchte sie sich nun am liebsten gar nicht mehr daran beteiligen. Ein Glaubenssatz, der sich in ihrem Selbstbild verankert hat, lautet: „In Wirklichkeit kann ich in der Schule nichts und halte deswegen lieber den Mund“.

 

Da sie zunehmend weniger am Unterricht teilnimmt, macht sie auch zunehmend weniger Lernfortschritte, was ihre innere Überzeugung, zu nichts fähig zu sein, immer wieder bestätigt. Durch die vielen negativen Erfahrungen gewinnt Lisa den Eindruck, dass ihre Unfähigkeit eine nicht änderbare Tatsache ihrer Person ist, und dass es deswegen auch nichts bringen würde, sich an ihre Lehrkraft oder ihre Eltern zu wenden. Das hat in ihr eine so tiefe Verzweiflung ausgelöst, dass sie aufgehört hat zu sprechen, weil sowieso alles egal ist.

 

Was kann man in diesem Fall tun?

 

Eine treibende Kraft hinter Lisas negativer Selbstwahrnehmung ist der soziale Vergleich mit ihren Mitschülern. Eine Möglichkeit ist, in der Klasse andere Vergleichsmaßstäbe zu etablieren. Man könnte den Schülern beispielsweise anstatt der Rückmeldung, wo sie im Vergleich zu anderen stehen, Rückmeldungen zu ihrem individuellen Lernfortschritt geben. Das würde zum einen dem problematischen sozialen Vergleich Lisas mit den besseren Schülern entgegenwirken und zum anderen Lisa bewusst machen, dass sie durchaus Lernfortschritte macht.

 

Eine weitere treibende Kraft hinter Lisas negativer Selbstwahrnehmung ist ein fehlerhaftes Grundverständnis über das bei Menschen vorhandene Intelligenzpotential. Lisa ist offenbar der Überzeugung, dass es naturgegeben leistungsfähigere und weniger leistungsfähigere Menschen gibt. Letztere – zu welchen sie sich zählt – können prinzipiell kein höheres Leistungsniveau erreichen können, egal wie sehr sie sich anstrengen.

 

Hier könnte man versuchen, Lisa bewusst zu machen, dass das ein Irrglaube ist. Wie viele Studien zeigen, verfügt jedes Kind – außer beim Vorliegen einer geistigen Behinderung – über ein extrem hohes Leistungspotential, das nur manchmal aufgrund problematischer Lern- und Umweltbedingungen nicht abgerufen wird. Beispielsweise wurde in groß angelegten Studien demonstriert, dass sich die Leistung von normalen Schülern im Vergleich zu einem üblichen Frontalunterricht bei einer eins-zu-eins Betreuung um zwei Standardabweichungen verbessert, was dem Leistungsniveau hochbegabter Schüler entspricht.

 

Um Lisa das zu vermitteln, könnte folgendes Argument hilfreich sein: Eines der schwierigsten Dinge, die wir im Laufe unseres Lebens lernen, ist unsere Sprache. Wie beim späteren Wissenserwerb auch, müssen hier Lautstrukturen mit der wahrgenommenen Struktur der erlebten Welt verknüpft werden, nur dass die Schwierigkeit hinzukommt, dass es hier niemanden gibt, der den Lerngegenstand didaktisch hilfreich aufdröselt.

 

Man kann also sagen: Sobald ein Kind dazu in der Lage war, sprechen zu lernen, kann es definitiv auch jeden beliebigen anderen Wissensinhalt erlernen. das Kind muss nur dazu motiviert sein und sich das zutrauen.

 

2. Ein kontextabhängiges Selbst: 

 

Die Funktionsweise unseres Selbstbild kann man sich vorstellen wie das Begriffsnetzwerk, das wir in uns abgespeichert haben, um uns die Welt zur Anschauung zu machen. Der einzige Unterschied ist, dass das Begriffsnetzwerk des Selbstbildes nicht die Welt zum Inhalt hat, sondern uns selbst.

 

Wie man beim begrifflichen Wissen zur Welt weiß, sind dort nicht alle Inhalte miteinander verknüpft: Beim Lösen von Matheaufgaben werden andere Begriffe aktiviert, als wenn man Fragen zur Grammatik in Deutsch beantwortet. Genau dasselbe Phänomen kann es auch beim Selbstbild geben: Wenn ein Schüler in der Klasse sitzt, können andere selbstbezogene Inhalte in seinem Selbstbild aktiviert sein, als wenn er sich zu Hause im Kreis seiner Familie befindet.

 

Eine solche Dynamik kann auch im Fall von Lisa eine Rolle spielen und zur Aufrechterhaltung ihres problematischen Verhaltens in der Schule beitragen. Im Rahmen eines Elterngesprächs stellt sich heraus, dass Lisas Eltern die Schilderungen ihres Schweigens in der Schule überhaupt nicht nachvollziehen können. Zu Hause erleben sie Lisa als eine lebhafte, kontaktfreudige und selbstbewusste Person. Die Eltern wären von selbst niemals darauf gekommen, dass Lisa in der Schule ein negatives Selbstbild und ein zurückgezogenes Sozialverhalten an den Tag legen könnte, und dass hier eine Unterstützung der Eltern hilfreich sein könnte.

 

Solche Widersprüche im Verhalten von Schülern in unterschiedlichen Kontexten hast Du bestimmt schon einmal erlebt. Lisa ist zuhause und in ihrer Freizeit eine ganz andere Person als im Unterricht. Das Schweigen ist Teil von Lisas Selbstbild und Verhaltensnetzwerk für den Kontext Schule. In Ihrer Freizeit hat sie andere Erfahrungen gemacht und es ist ein ganz anderer Teil ihres Selbstbildes und ihres Netzwerks an Verhaltensmöglichkeiten aktiviert.

 

Das Auftreten von Unterschieden im Denken, Erleben und Verhalten in unterschiedlichen Kontexten hat mit Lernerfahrungen in der Vergangenheit zu tun und ist meist kein Resultat einer bewussten Entscheidung. Oft ist es einem selbst sogar nicht einmal bewusst, dass man in unterschiedlichen Kontexten eine andere Person ist, weil man in jedem Kontext den Eindruck hat, der momentan aktivierte Teil des Selbstbilds würde die eigene Person vollständig abbilden.

 

Was kann man in diesem Fall tun?

 

Ein wichtiger Schritt ist zunächst überhaupt mitzubekommen, dass Lisa in anderen Kontexten ein anderes Selbstbild und Verhalten an den Tag legt. Hilfreich ist hier, sich die Gewohnheit zuzulegen, Schüler nicht nur im Unterricht, sondern auch außerhalb des Unterrichts (z.B. Pause, Schulfahrten, Schulfeste) genau zu beobachten und Informationen aus weiteren Quellen (Eltern, andere Lehrkräfte) einzuholen.

 

Macht man wie im Fall Lisa die Beobachtung, dass in anderen Kontexten kein problematisches Verhalten an den Tag gelegt wird, ist das ein positives Signal: Es handelt sich dann nicht um ein tieferliegendes, situationsübergreifendes Problem der Persönlichkeit, sondern das Problem tritt kontextgebunden auf. Lisa verfügt also bereits über die Fähigkeiten, die wünschenswert sind, nur kann sie das in einem bestimmten Kontext – dem Unterricht – noch nicht zeigen.

 

Man kann dann versuchen, Situationen zu schaffen, in welchen Lisas negative Anteile in ihrem Selbstbild weniger stark aktiviert werden und dafür die positiven Anteile in ihrem Selbstbild wachgerufen werden. Man kann zum Beispiel versuchen, mit Lisa in Situationen in Kontakt zu kommen, die nicht der klassischen Unterrichtssituation entsprechen, und die keinen Zwangscharakter haben. Beispiele könnten ein Wandertag, ein Klassenausflug oder eine Projektwoche sein.

 

Sollten sich in einer solchen Situation Lisas positive Anteile ihres Selbstbildes zeigen, kann das gemeinsame Wissen darum, dass die Lehrkraft um ihre eigentlichen Stärken weiß, eine Stütze für ihr Verhalten im Klassenkontext sein.

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Was weißt du über Lisas Selbstbild?

 

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Welche Veränderungen hat Lisas Selbstbild in der Vergangenheit durchlaufen?

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Welche Teile von Lisas Selbstbild sind aktuell besonders wichtig? Welche sind in Gefahr?

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Welche Funktion hat die Weigerung zu sprechen für Lisas Selbstbild?

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Woher bezieht Lisa aktuell Selbstwert?

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In welchen Situationen zeigt Lisa ihr Verhalten?

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Das Soziale Gehirn

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Wir Menschen sind nicht nur Einzelwesen, sondern auch soziale Wesen. Die in uns vorhandenen psychischen Kräfte der Verhaltenssteuerung sind also eingebunden in den Rahmen eines uns umgebenden sozialen Kollektivs, welches auf verschiedenen Wegen unser Erleben und Verhalten beeinflusst.

 

Zum einen prägt das uns umgebende soziale Kollektiv die Entwicklung der in einem vorhandenen bedürfnisbezogenen Verhaltensgewohnheiten, emotionalen Reaktionsgewohnheiten und rationalen Ziele und Wertmaßstäbe. Zum anderen existieren im uns umgebenden sozialen Kollektiv soziale Rollen, welche bestimmte Verhaltensanforderungen an uns stellen.

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Wir Menschen sind nicht nur Einzelwesen, sondern auch soziale Wesen. Die in uns vorhandenen psychischen Kräfte der Verhaltenssteuerung sind also eingebunden in den Rahmen eines uns umgebenden sozialen Kollektivs, welches auf verschiedenen Wegen unser Erleben und Verhalten beeinflusst.

 

Zum einen prägt das uns umgebende soziale Kollektiv die Entwicklung der in einem vorhandenen bedürfnisbezogenen Verhaltensgewohnheiten, emotionalen Reaktionsgewohnheiten und rationalen Ziele und Wertmaßstäbe. Zum anderen existieren im uns umgebenden sozialen Kollektiv soziale Rollen, welche bestimmte Verhaltensanforderungen an uns stellen.

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Es folgen nun zwei mögliche Erklärungen im Fall Lisa, die sich auf den Einfluss des sozialen Umfeldes beziehen: 

 

1. Eine verlorengegangene sichere Bindung:
 

Insbesondere im Kindesalter kommt den Eltern eine wichtige Rolle innerhalb des psychischen Systems eines Kindes zu. Die Eltern stellen für das Kind eine „sichere Basis“ dar, welche dem Kind beim Erleben und Verhalten in Kontexten außerhalb des Elternhauses Sicherheit gibt.

 

Für ein Kind sind viele Situationen noch neu, so dass das Kind noch nicht sicher weiß, ob bestimmte Verhaltensmechanismen zum gewünschten Ziel führen werden. Damit ein Kind verschiedene Verhaltensoptionen explorieren kann, braucht ein Kind die soziale Versicherung, dass im Falle des Schiefgehens eines Verhaltens Personen da sind, die sich um einen kümmern und einen trotzdem wertschätzen.

 

Im Fall von Lisa könnte hier eine mögliche Erklärung ihres Verhaltens zu finden sein. Lisas Eltern befinden sich nach einer langjährigen Beziehung aktuell in einer akuten Trennungsphase. Lisa leidet unter der angespannten und konfliktgeladenen Situation bei ihr Zuhause. Da ihre Eltern sehr unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der „richtigen“ Art der Erziehung haben, ist insbesondere Lisas Erziehung auch immer wieder Gegenstand der Ehestreitigkeiten.

 

Nach einem erneuten eskalierten Konflikt habe Lisas Eltern ihr nun mitgeteilt, dass sie sich trennen. Da weder Vater noch Mutter bisher eine bezahlbare neue Wohnung gefunden haben, leben sie aber zunächst weiter unter einem Dach. Lisa weiß aber bereits, dass demnächst ein Umzug anstehen wird.

 

Lisas bisherige Welt ist durch diese Ereignisse in ihren Grundfesten erschüttert. Ihr bisher so starkes Vertrauen, dass ihre Eltern für sie da sein werden, ist völlig verloren gegangen. Sie weiß nicht, ob sie Mama und Papa in Zukunft noch sehen wird und ob ihre Eltern nach der Trennung überhaupt noch etwas von ihr wissen wollen. Es fühlt sich für sie an, als würde das gesamte Gebäude, das ihr bisher Rückhalt und Sicherheit in der Welt draußen gegeben hat, in sich zusammenstürzen.

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In herausfordernden Situationen, die sie bisher im Vertrauen auf den Rückhalt durch ihre Eltern immer gut meistern konnte, fühlt sie sich plötzlich völlig allein gelassen und verloren. Die Vorstellung, dass Personen, denen sie bisher wie niemandem sonst auf der Welt vertraut hat, plötzlich solche für sie schmerzhaften Dinge tun, hat ihr Vertrauen in andere Menschen zutiefst erschüttert. Sie hat den Eindruck, niemandem mehr Vertrauen schenken zu können und hat deswegen angefangen, in sozialen Situationen zu schweigen.

 

Was kann man in diesem Fall tun?

 

In einer solchen Situation, wo Kinder das Vertrauen in für ihr Leben zentrale Personen verloren haben, ist es wichtig, dass die Kinder Personen finden, welche diese verlorengegangene Rolle einnehmen und dem Kind den Eindruck vermitteln, dass man für es da ist und es als Person wertschätzt, egal was das Kind tut.

 

Wenn Kinder einen sehr starken Vertrauensverlust erleben mussten, kann es sogar sein, dass solche Kinder gerade deswegen ein schwieriges Verhalten an den Tag legen, weil sie damit die neue Bezugsperson testen wollen. Das Kind will mit einem solchen Verhalten sicherstellen, dass die neue Bezugsperson einen selbst dann nicht verstoßen wird, wenn man schlimme Dinge tut.

 

Als Lehrkraft bringt einen ein solches Verhalten oft an seine Grenzen. Wichtig ist hier zum einen, sich bewusst zu machen, dass das Kind nicht deswegen so handelt, weil es einem das Leben als Lehrkraft schwer machen will, sondern deswegen, weil es innerlich so verzweifelt ist. Zum anderen ist es wichtig, als Lehrkraft darauf hinzuwirken, dass man als eine Person erlebt wird, die absolut verlässlich ist, der man vertrauen kann und die einen wertschätzt, auch wenn man sich eigenartig benimmt.

 

Hinsichtlich der im Falle von Lisa verlorengegangenen „sicheren Basis“ einer ihr sehr nahestehenden Bezugsperson kann man als Lehrkraft diese Rolle nicht einnehmen. Allerdings kann man im Sinne einer Brückenfunktion dazu beitragen, dass Lisa wieder Vertrauen in andere Personen erlebt, und damit wieder in die Lage versetzt wird, engere Bindungen mit anderen Personen einzugehen.

 

2. Neue soziale Interessen:

 

Die Rolle des sozialen Umfeldes verändert sich im Laufe der Entwicklung eines Kindes. Besonders einschneidend ist die Veränderung im Zuge der Pubertät. Aufgrund der sozialen Reifung sind die Freunde plötzlich wichtiger als die Eltern und die Familie. Aufgrund der biologischen Reifung bekommen zwischenmenschliche Beziehungen eine neue Qualität. Plötzlich sind die anderen nicht mehr nur einfach Personen, mit denen man im Falle gemeinsamer Interessen vielleicht Freundschaften eingeht, sondern diese stellen zusätzlich potentielle Partner dar, mit denen man eine Liebesbeziehung eingehen könnte.

 

Diese psychischen und biologischen Entwicklungen können Probleme mit sich bringen. Man beginnt plötzlich darüber nachzudenken, wie man auf andere wirkt, und geht davon aus, dass die anderen das auch ständig tun. Man stellt sich die Frage, ob man attraktiv genug ist und mit den anderen mithalten kann. Die verbalen Rückmeldungen und nichtsprachlichen Signale von anderen werden diesbezüglich auf die Goldwaage gelegt, getragen von der Vorstellung, dass die Freunde, Mitschüler, Lehrkräfte und Eltern einen ständig beurteilen.

 

Im Fall von Lisa könnte hier eine mögliche Erklärung ihres Verhaltens zu finden sein. Lisa ist seit einige Zeit in der Pubertät, was ihre Sicht auf ihr eigenes Leben, sowie auf die Personen um sie herum fundamental verändert hat. Die Präsenz der Jungen in ihrer Klasse schüchtert Lisa auf einmal ein. Sie möchte auf keinen Fall einen „peinlichen“ Eindruck machen, vor allem nicht bei einem Jungen, in den sie ein bisschen verliebt ist.

 

Bevor sie in der Klasse etwas sagt, versucht sie nun vorher abzuwägen, ob das bei den anderen gut ankommen wird. Und bei jedem Satz, der dann aus ihrem Mund kommt, versucht sie der Mimik und Gestik der anderen zu entnehmen, ob diese das Gesagte auch wirklich gut finden. Inzwischen ist sie so sensibilisiert, dass sie oft gar nicht mehr weiß, was sie eigentlich sagen möchte, gleichzeitig fühlt sie sich zunehmend überfordert damit, abzuschätzen, was die anderen wohl gut finden werden.

 

Da Lisa eigentlich gar nicht mehr weiß, was sie selbst sagen möchte, und gleichzeitig immer unsicherer wird, was sie sagen müsste, um einen guten Eindruck bei den anderen hervorzurufen bzw. einen schlechten Eindruck zu vermeiden, sagt sie inzwischen lieber gar nichts mehr.

 

Was kann man in diesem Fall tun?

 

Bei Lisas Veränderung handelt es sich um einen Entwicklungsschritt, der notwendigerweise auf dem Weg zum Erwachsen werden durchlaufen werden muss. Deswegen wäre es der völlig falsche Weg, zu versuchen, ihr neu aufgetauchtes Interesse am anderen Geschlecht sowie ihren neuen Wunsch, in den Augen anderer attraktiv zu sein, zu verändern.

 

Stattdessen sollte das Ziel darin bestehen, daran zu arbeiten, dass die nach wie vor in ihr vorhandenen weiteren Interessen und Wünsche nicht in den Hintergrund treten und vernachlässigt werden. Gleichzeitig ist es wichtig erlebbar zu machen, dass für die empfundene persönliche Attraktivität nicht nur das Betrachten mit den vermuteten Maßstäben der anderen ausschlaggebend sein sollte, sondern vielmehr eigene innere Maßstäbe entwickelt werden sollten, welche die sich entwickelnde Persönlichkeit in ihrer gesamten Breite abbilden.

 

Beispielweise könnte es hilfreich sein, ein Projekt anzubieten, von dem man weiß, dass Lisa daran großes Interesse hat. Wichtig ist, sie dann bei der Umsetzung zu unterstützen, so dass sie sich als kompetent erlebt, und ihr erlebbar zu machen, dass das Projekt auch in den Augen der anderen einen hohen Wert hat.

 

Eine interessante Methode um die Bandbreite der in einem vorhandenen, aber manchmal selbst nicht wahrgenommenen Stärken erlebbar zu machen, ist die „Stärken-Dusche“. Alle Schüler bekommen einen Zettel, am besten aus etwas stärkerem Karton, mithilfe von Kreppband auf den Rücken geklebt. Danach bewegen sich alle durch den Raum und schreiben auf die Zettel der anderen etwas, was sie an der anderen Person gut finden. Um sicherzugehen, dass auch alle berücksichtigt werden, kann man vorher festlegen, dass jeder allen anderen eine Rückmeldung geben muss

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In welchen sozialen Gruppen und Kontexten bewegt Lisa sich?

 

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Welche Wahrnehmung von Lisas Rolle innerhalb des Klassenverbunds hast du?

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Welche Rolle hatte Lisa in Vergangenheit im Schulkontext?

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Was sind wichtige Personen in Lisas privatem Umfeld?

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Welche Auswirkung hat Lisas Verhalten auf Personen aus ihrem Umfeld?

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Wer profitiert von Lisas Verhalten?

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Wer leidet an Lisas Verhalten?

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Was würde Lisa am Klassengefüge ändern, wenn sie es könnte?

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In welchen sozialen Kontexten verhält sich Lisa anders?

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Das Kulturelle Gehirn

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Unser Erleben und Verhalten ist in einen kulturellen Rahmen eingebettet, welcher den Raum vorgibt, innerhalb dessen sich das Denkens, Werten, Fühlen und Handeln der Menschen bewegt, welche derselben Kultur angehören. Der Unterschied zu den bisherigen Einflussebenen ist, dass sich alle der zu einer gemeinsamen Kultur gehörenden Personen und Gruppen trotz ihrer jeweils individuell unterschiedlichen Erlebens- und Verhaltensmaßstäbe innerhalb desselben Erlebens- und Verhaltensraums bewegen.

 

Ein bekanntes Beispiel sind die unterschiedlichen Erlebens- und Verhaltensräume, innerhalb dessen sich die Personen in individualistischen Kulturen (z.B. Deutschland) und kollektivistischen Kulturen (z.B. asiatische Länder) bewegen. In individualistischen Kulturen ist der Raum des als sinnvoll erlebten Verhaltens schwerpunktmäßig dadurch bestimmt, was aus der Perspektive der individuellen Verhaltensmaßstäbe als sinnvoll erscheint, in kollektivistischen Kulturen dagegen dadurch, was aus der Perspektive der Verhaltensmaßstäbe des umgebenden sozialen Kollektivs als sinnvoll erscheint.

 

Der kulturelle Rahmen einer Person umfasst mehrere Ebenen unterschiedlicher Größenordnung. So teilen wir einen bestimmten gemeinsamen Erlebens- und Verhaltensraum mit den zur selben Nation gehörenden Personen („Nationalkultur“), mit den zur selben geografischen Region gehörenden Personen („Regionalkultur“) und mit den zu einer gemeinsamen Lebenswelt (z.B. Religion, Jugendkultur) gehörenden Personen („Subkultur“).

 

Da sich das Erleben und Verhalten aller der einer bestimmten Kultur angehörenden Personen innerhalb desselben Rahmens bewegt, kommt es einem oft gar nicht in den Sinn, dass es auch ein Erleben und Verhalten geben könnte, dass sich außerhalb des kulturell vorgegebenen Rahmens bewegt. Wenn man auf solches Erleben und Verhalten trifft, erscheint einem dieses als seltsam, sinnlos oder unplausibel. Aus diesem Grund sind kulturelle Einflüsse oft besonders schwer zu sehen.

 

Im besten Fall ist man sich der kulturellen Rahmung des eigenen Erlebens und Verhaltens bewusst, empfindet diesen Rahmen als sinnhaft und bewegt sich mit den eigenen Erlebens- und Verhaltensmaßstäben innerhalb dieses Rahmens. Gleichzeitig weiß man darum, dass Personen aus anderen Kulturen sich innerhalb eines anderen Rahmens bewegen können, welcher unter der Bedingung der Einhaltung universeller moralischer Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens akzeptiert und toleriert werden kann. Kulturelle Unterschiede werden dabei idealerweise als Chance begriffen, bisher nicht hinterfragte Sichtweisen zu reflektieren und gemeinsam neue Sichtweisen zu entwickeln.

 

Im schlechten Fall ist man sich der Kulturabhängigkeit des eigenen Erlebens und Verhaltens nicht bewusst. Das kann zur Konsequenz haben, dass man den durch die eigene Kultur vorgegebenen Erlebens- und Verhaltensraum als einzig sinnhafte Möglichkeit des Denkens, Wertens, Fühlens und Handelns wahrnimmt und Menschen aus anderen Kulturen, die sich in einem anderen Rahmen bewegen, nicht versteht und schlimmstenfalls abwertet.

 

Ausführlichere Informationen zum Thema der kulturellen Beeinflussung des Erlebens und Verhaltens findest du im Bereich Wissen.

 

Es folgt nun eine mögliche Erklärung im Fall Lisa, die sich auf die kulturelle Beeinflussung des Verhaltens bezieht:

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1. Kulturbedingte Geschlechterrollen: 

 

Ein Aspekt, in Bezug auf welchen es große kulturelle Unterschiede gibt, sind die Erwartungshaltungen an das Verhalten von Männern und Frauen in bestimmten Situationen und im sozialen Miteinander – die sogenannten Geschlechterrollen. Die in einer Kultur vorhandenen Geschlechterrollen geben den Rahmen vor, innerhalb dessen sich das Verhalten von Männern bzw. Frauen nach den Maßstäben der Kultur bewegen sollte.

 

Ein Beispiel ist das in manchen Kulturen vorzufindende sogenannte traditionelle Rollenverständnis, demnach der Frau die Kindererziehung und der Haushalt zugeordnet werden, während der Mann für die finanzielle Versorgung der Familie zuständig ist. In Kulturen mit einem sogenannten egalitären Rollenverständnis spielt das Geschlecht dagegen für die Zuordnung bestimmter Aufgabenbereiche keine Rolle.

 

Im Fall von Lisa könnte hier eine mögliche Erklärung ihres Verhaltens zu finden sein. Lisa stammt aus einer Kultur, in welcher es eine klare Trennung der Geschlechter im öffentlichen Raum gibt. Öffentliche Diskussionen finden in ihrem Kulturkreis ausschließlich in reinen Männer- oder Frauenrunden statt. Ein gemeinsames Gespräch in einer geschlechtergemischten Runde ist absolut unüblich. Besonders als junge und unverheiratete Frau ist man angehalten, sich in einer solchen Runde nicht zu Wort zu melden.

 

Bisher stellte dieser kulturelle Hintergrund für Lisa keine Schwierigkeit in der Schule dar. Da sie die einzige Person aus ihrem Kulturkreis in der Klasse war und sie verstanden hatte, dass in der Schule eine andere Kultur vorherrscht und dementsprechend andere Regeln gelten, hat sie sich trotz der Anwesenheit von Jungen und männlichen Lehrkräften oft zu Wort gemeldet.

 

Allerdings hat sich nun die Situation verändert. Seit kurzem gibt es einen neuen Mitschüler in der Klasse, von dem Lisa weiß, dass er zum gleichen Kulturkreis wie ihre Familie gehört. Die Anwesenheit dieses Mitschülers bringt Lisas bisherige Verhaltenssteuerung in der Klasse durcheinander. Plötzlich wird in ihrer Psyche wieder der in ihrem Kulturkreis gültige Verhaltensmaßstab aktiviert, dass man in geschlechtergemischten Gruppen als Frau sich nicht zu Wort meldet.

 

Diese Veränderung in ihrer Verhaltenssteuerung tritt ein, ohne dass sich der neue Mitschüler Lisa gegenüber in einer bestimmten Weise verhalten würde, oder von ihr ein bestimmtes Verhalten einfordern würde. Allein durch die bloße Anwesenheit einer Person, die zum selben Kulturkreis wie ihre Familie gehört, wird plötzlich in ihr der kulturbedingte Verhaltensmaßstab aktiviert, dass Frauen bei der Anwesenheit von männlichen Personen schweigen sollten.

 

Was ist in diesem Fall zu tun?

 

Für den Umgang mit einer solchen Situation ist es zunächst wichtig sich klarzumachen, dass Lisas Schweigen durch Wert- und Verhaltensmaßstäbe hervorgerufen wird, die nicht innerhalb ihrer Person liegen, sondern von den zu ihrer Kultur gehörenden Personen gemeinsam geteilt werden. Lisas Verhalten resultiert also nicht aus ihrer individuellen Verhaltenssteuerung, sondern aus einer individuumsübergreifenden Verhaltenssteuerung.

 

Zu versuchen, allein auf der Ebene von Lisa zu arbeiten, um eine Änderung ihres Verhaltens herbeizuführen, ist also wenig zielführend. Gleichzeitig kann man als Lehrkraft nicht die Kultur ändern, der Lisa entstammt. Vielmehr gilt es sich hier bewusst zu machen, dass unsere kulturelle Herkunft ein wichtiger Bestandteil unserer Identität ist, und individuell als „richtig“ empfundene Maßstäbe in Wirklichkeit oft kulturabhängig sind.

 

Man kann allerdings versuchen, Lisa sowohl die individuell in ihr vorhandenen Verhaltensmaßstäbe als auch die aus ihrer Kultur stammenden überindividuellen Verhaltensmaßstäbe bewusst zu machen, und ihr so die Chance zu eröffnen, ein aus ihrer eigenen Perspektive sinnvolles Zusammenspiel dieser Kräfte zu entwickeln.

 

Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, auf der Ebene der Klasse die allgemeine Kulturgebundenheit unseres Erlebens und Verhaltens zu thematisieren. Neben der Anregung einer individuellen Reflexion der oft übersehenen Kulturgebundenheit des eigenen Verhaltens vor dem Hintergrund der kulturellen Vielfalt des menschlichen Verhaltens, bietet das zusätzlich die Chance, bisher vielleicht als eigenartig erlebte Verhaltensweisen von Klassenkameraden aus anderen Kulturen besser zu verstehen.

 

Hilfreich könnte auch sein, den Schülern zu vermitteln, dass die Schule eine eigene Kultur darstellt, in welcher besondere Maßstäbe gelten, jenseits der Maßstäbe, die in den jeweiligen Kulturen gelten, aus der die Schüler entstammen. Dabei ist es wichtig, negative Zuschreibungen zu bestimmten kulturellen Maßstäben unbedingt zu vermeiden, sondern diese anzuerkennen, aber gleichzeitig klar zu vermitteln, dass die Schule einen eigenen Kulturraum darstellt, in dem eigene Maßstäbe gelten

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Welche Schemata, die du verinnerlicht hast, sind durch Lisas Verhalten gestört?

Lisa Emotionen
Rationales_Gehirn
Soziales_Gehirn
Kulturelles_Gehirn
Selbst_Gehirn
Max
Daniel.png

Max, reg dich nicht auf!

Eine Lehrerin berichtet von einem Mädchen aus der Sekundarstufe I. Lisa. Das auffällige an Lisa: Lisa spricht nicht mehr. Nicht nur bei ihr, sondern in vielen Fächern schweigt sie gegenüber der Lehrkräfte. Alle sind ratlos und frustriert und wissen nicht wie sie vorgehen sollen oder wie es weitergehen kann. Alltägliche Fragen werden nicht beantwortet, die Mitarbeit und jegliche Kommunikation verweigert. Die Lehrkraft aus unserer Studie fragt sich wie sie das Mädchen benoten soll, wie sie mit ihr interagieren kann oder ihr irgendwie helfen.

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Die nahe liegende Frage ist also: warum spricht Lisa nicht mehr? Was hat sie zum Schweigen bewogen? Und natürlich auch, was können die Lehrkräfte tun, um zu helfen und wieder eine intakte Kommunikation herzustellen?

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Unser Vorgehen

Natürlich möchte Lisas Umfeld wissen was die Ursache für das Schweigen von Lisa ist und was hinter ihrem Verhalten steckt, um ihr zu helfen und selbst zu wissen wie man mit ihr umgehen soll. Daher beleuchten wir Lisas Person mit Hilfe der inneren und äußeren Kräfte des menschlichen Verhaltens, welches wir in der Rubrik Wissen genauer beschreiben.

Maxs Kräfte

Kultur

"Reden ist Silber und Schweigen ist Gold" und trotzdem erwarten alle, dass Lisa redet.

Plan2.png

Rationale Ziele

Lisa denkt ohne Worte kann sie mehr ausrichten

Soziales Umfeld

Lisa möchte ihre Familie nicht enttäuschen

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Selbstbild.png

Selbst

Lisa hält nicht viel von sich

Motive_farbig.png

Lisa ist so sauer, dass sie es nicht in Worte fassen kann

Bedürfnisse_Blase.png

Das Schweigen ist für Lisa eine Macht

Max Bedürfnisse
Motive_farbig.png

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Auch ein Schweigen ist eine Mitteilung

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Zu allererst sollte man anerkennen, dass auch das Schweigen eine Botschaft ist. Schulz von Thun sagte "Man kann nicht nicht kommunizieren". Gemeint ist, dass ein bewusstes Schweigen der Umwelt eindeutig signalisiert, dass man nicht sprechen möchte. Wenn Lisa sich nur nicht öffnen oder lieber nicht auffallen oder die Wahrheit absichtlich verschweigen wollte, dann könnte sie auch eine Lüge erzählen oder den Gesprächspartner besänftigen und über Oberflächliches sprechen. Nein, es geht darum ein Statement zu setzen, was sehr wohl allen auffällt. Lisa spricht gar nicht mehr mit den Lehrkräften. STÄRKE!!!! Ressourcenorientiert, nicht problemorientiert!

Das hier gedachte Statement kann jedoch unterschiedlicher Natur sein. Es könnte sein, dass Lisa die Absicht hat mit dem Schweigen eine Art Selbstbestimmung zu erlangen, indem sie diejenige ist, welche entscheidet wann gesprochen wird. Erst wenn sie bereit ist oder es für nötig hält, teilt sie sich mit. Kein anderer kann sie dazu zwingen. Eine Fremdbestimmung möchte sie nicht zulassen. 

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Fremd- vs. Selbstbestimmt

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Eine Umgebung, welche starke Kontrolle ausübt, keine Wahl lässt und Zwänge auferlegt oder eine einzelne intensive Erfahrung, welche einem Kind das Gefühl gibt keine Kontrolle über das eigene Handeln, das eigene Leben zu haben, ist eine negativ erlebte Fremdbestimmung. Diese geht mit negativen Gefühlen und verringerter Motivation einher. Man fühlt sich eingeengt, kontrolliert und verliert dabei die Lust an der Sache, da einem die Freiheit sich selbst zu entfalten fehlt.

Es ist dem Menschen ein grundlegendes Bedürfnis selbstbestimmt zu handeln und motiviert Dinge zu tun und Ziele zu erreichen. Nach Ryan & Deci handelt man selbstbestimmt, wenn man sich sozial eingebunden, kompetent und autonom fühlt. Lisa könnte also im Kontext der Schule das Gefühl der Ausgrenzung aus einer Gruppe haben, sich inkompetent oder kontrolliert fühlen. Da das Schweigen explizit den Lehrkräften gegenüber stattfindet, aber nicht nur einer bestimmten Lehrkraft gegenüber, hat es vermutlich etwas mit der Beziehung zwischen Lisa und Lehrer*innen grundsätzlich zu tun. Das Schweigen soll also sagen, wenn ihr, die Gruppe der Lehrkräfte mich ausschließen, abwerten oder über mich bestimmen wollt, dann rede ich nicht mehr mit euch und zeige euch damit, dass ihr nicht alles bestimmen dürft. Ich darf auch selbst noch über mich bestimmen.

Oder aber Lisa hat in einem anderen Lebensbereich dieses unangenehme Gefühl der Fremdbestimmung und mangelnden Kontrolle erlebt, welche sie nun in diesem ihr vertrauten und sicheren Umfeld der Schule ins gegensätzlich dreht. Sie könnte Zuhause Probleme haben, welche sich anfühlen als hätte sie keine Wahl, weshalb sie an einem Ort, an den man ja sein muss, eine Kontrolle ausübt gegen die ihr privates Umfeld nichts tun kann. Dann wäre das Schweigen in der Schule eine Kompensation für die erlebte Fremdbestimmung außerhalb der Schule in der Schule. 

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Reden ist Silber, Schweigen ist Macht

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Andererseits kann ein Schweigen auch eine Art Strafe sein. Wenn man sich ungerecht behandelt fühlt oder verletzt ist, dann ist die Entscheidung das Gegenüber mit Schweigen zu begegnen eine Strafe: jetzt rede ich nicht mehr mit dir! Gerade in der Schule, in der Gruppe, in einer hierarchischen Situation, in der normalerweise die Lehrkräfte die Macht über die Schüler*innen hat, ist ein Schweigen eine Macht.

Es ist aber auch eine Macht, die einem selbst Schaden zufügen kann. Man kann Wünsche nicht mehr äußern und muss die Konsequenzen des Schweigens, z.B. eine schlechte Note, in Kauf nehmen. Wenn Lisa das tut, dann ist die Ursache ihres Schweigens vermutlich seelisch so tiefgreifend und verletztend, dass sie die Macht des Schweigens über die negativen Folgen setzt. "Lieber sterbe ich als..." mit dir zu reden. Dieser Satz kann schon mal aus den Gedanken einer Jugendlichen kommen.

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Tiefgreifende seelische Verletzungen gehen vermehrt auch die Vernachlässigung eines Grundbedürfnisses zurück. Geflüchtete, vernachlässigte oder misshandelte Kinder haben Situationen erlebt, in denen sie sich nicht sicher gefühlt haben. Diese mangelnde Sicherheit kann ein anderes Bedürfnis als Ausgleich überbetonen. Oder Kinder, deren Eltern sich scheiden lassen fühle sich manchmal ungeliebt und nicht geborgen, als Konsequenz kann ich handeln getrieben sein um ein anderes Bedürfnis als Kompensation zu befriedigen. Gerade Macht über das eigene Handeln zu haben, ist dann ein Bedürfnis, was einem wieder den Boden unten Füßen zurückholen soll. Bedürfnisse sind im besten Fall in einem Gleichgewicht. Wenn man einem Bedürfnis jedoch zu viel weg nimmt, dann gewinnt automatisch ein anderes an zu viel Gewicht. Diese Handlung ist nicht bewusst, sondern steuert das Handeln ganz unbewusst. 

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Die Wut ist unbeschreibbar

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Emotionale Explosionen, das täglich Brot

Emotionale Regulation

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Welche Funktion hat das Schweigen für Lisa

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Selbstkonzept/ Selbstbild (Weigerung)/ Selbstwert als kognitive Komponente

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SCHEMA ABWEICHUNG! Wer hat hier eigentlich ein Problem?

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Wer hat welches Problem mit wem?

Ist das Schweigen für Lisa oder ihr Umfeld ein Problem?

Wer möchte das Problem lösen? Lisa selbst oder ihr Umfeld?

Wie war Lisa vorher? Lebhaft oder eher verschlossen?

Wie aktiv ist sie sonst im Unterricht?

Wann genau ist das Schweigen entstanden? Plötzlich oder schleichend?

Was war der Auslöser?

Wie steht Lisa zur Schule? Geht sie gerne in die Schule oder ist sie nur da, weil sie muss?

Wen schweigt Lisa an? Nur Lehrkräfte oder auch Freunde und Familie?

Max Emotionen
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Kontakt

Universität Regensburg

Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie

93040 Regensburg

​

Email: wissen-schafft-schule@ur.de

Telefon: 0941-943-2143

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